11. März 2003
In der gestrigen Tageszeitung (MZ) steht die Überschrift: "Tipp für Meditation: "Mind the gap" ". Ein tibetanischer Meditationsmeister nutzt sogar den Aufruf der britischen U-Bahn "Mind the gap" ("Achten Sie auf die Lücke"), der die Passagiere vor Verletzungen bewahren will. "Das erinnere ihn, sich auch im Alltag eine "Lücke", also Zeit für Meditation und die Anschauung des eigenen Geistes zu nehmen. Lachen, als in dem Moment der Stuhl eines Besuchers zusammenbrach. Am längsten lachte der Rinpoche: "Mind the gap", sagte er, "da haben sie die Umsetzung"."
Ich las gestern wie so oft die Zeitung nur sehr flüchtig. Also las ich nur die Hälfte der Überschrift: "Tipp für Meditation" und dann nur den Schluß, nämlich ab: "sich auch im Alltag eine "Lücke" ...zu nehmen". Ich stutzte aber, als ich las: "Lachen, als in dem Moment der Stuhl ... zusammenbrach...". Ich fragte mich: Was für ein Zeichen könnte das sein? Fand aber keinen Reim und blätterte weiter in der Zeitung. Gestern Abend kam mein Mann und verwies auf die zweite Hälfte der Überschrift, und er sagte: "Das ist doch dein "Mind the gap" aus London". Und da sagte ich: "Das leg ich mir auf meinen Schreibplatz." Und erst jetzt erfuhr ich durch genaueres Lesen, daß der tibetanische Lehrer den Satz aus der gleichen Quelle hat wie ich. Ich kann nämlich mit Fug und Recht sagen: das Eindrucksvollste und Nachhaltigste, was ich aus einer Londonreise (1986) mitnahm, war der dauernd neu ausgerufene laute Mahnruf "Mind the gap!". Ich faßte ihn aber ganz anders auf als der Meditationsmeister. Daß ich nämlich im Alltag Lücken ausnutzen muß, war mir wegen der äußerst knappen Freizeit schon als Kind aufgegangen. Seit dem Tag, an dem meine Mutter zum Sterben in das Krankenhaus ging (ich war knapp 8 ½), gab es nur noch die Sonntagsnachmittags-Stunden nach der sonntäglichen ½ 2-Mittagsandacht als Freizeit. Für mich wurde Schule Freizeit, aber auch der Weg zu einem Feld und dann wieder zurück. Ich begann früh, ruhige Stunden und Minuten zu nutzen, um mit mir ins Reine zu kommen. Und ich merkte dabei, daß ich Neues brauche, das suchte ich nicht im eigenen Geist. Das Eigene brauchte ich, um das von "außen" auf mich Zukommende zu verstehen und zu fragen, ob es zu mir paßt. Ich lernte, daß in dem, was von anderen auf mich zukam, Fallen (gefährliche Löcher [Lücken für folgenschwere Fehltritte]) sein können.
Der Mahnruf der Londoner U-Bahn ging mir so nahe, daß ich auf den Wegen in London immer wieder nachdachte, was es noch für mich bedeutet. Mein Mann sagte später, er habe damals unbewußt das Wort "gap" mit "trap" ("Falle") verwechselt, was garnicht unpassend ist. Ich hatte bereits damals erfaßt, daß man die Schrift gefährlich mißverstehen kann, wenn man Christusworte nur lückenhaft sieht. Ich lernte, es gibt Momente, in denen zu Recht ein Wort Jesu akut wird und ein scheinbar gegensätzliches Wort Jesu das fällige Tun nicht blockieren darf. Ich lernte aber auch, daß viel häufiger die Situation da ist, in der einem beide scheinbar widersprüchlichen Aussagen Jesu vor Augen stehen müssen, wenn man nicht in die Falle eigenmächtiger Auslegungen tappen will.
Ich greife da zu einem gestrigen Beispiel im Fernsehen: Man diskutierte über die Irakkrise. Ein philosophischer Theologe sprach mit beschwörender, bebender Stimme von dem, was er als seine Aufgabe ansieht, nämlich die Menschen zu einem vollendeten Friedenswillen aufzurufen. Dabei griff er tatsächlich zu einem Jesuswort, das direkt Jesu Aussage, daß er nicht gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen, sondern Streit, einleitet. Die Raffinesse, Jesus das Wort im Mund umzudrehen, ist wahrhaft nicht harmlos. Der Professor sprach von der Fackel des Lichts, die mit Jesu Kommen auf die Erde kam.
Niemand kann mit Jesu Worten vom Streit, den er bringt, Kriegslust beschönigen. Von solchen Kriegen spricht er in Lukas 12 49ff nicht. Aber, Jesus sagt Kriege voraus, die kommen müssen.
Ich sage es nicht leichtsinnig, aber so total wie der Professor vom absoluten Friedenswillen sprach, war unübersehbar, daß er wissentlich oder unwissentlich eine schlimme Lücke herstellte.
Seltsam ist, daß der vom Professor angestrebte vollendete Friedenswille penetrant nach dem roch, was man "fauligen Frieden" nennen muß.
Wie soll denn Frieden entstehen, wenn die religiösen Väter und die religiösen Möchtegern-Lehrmeister der wichtigsten Voraussetzung für Frieden, nämlich dem Frieden der Einzelnen mit dem wahren Gott, Gewalt antun? Wenn die religiös Führenden ihr Wollen in den Menschen durchsetzen, zum Beispiel mit gefährlichen Lücken, die die Wahrheit ausrauben. Ich sehe im Klerus keine ernstzunehmende Auseinandersetzung. Ich zitiere nun Lukas12,49 dazu und dann einen Internetbrief unserer Tochter, auf den ich gestern stieß:
"Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen, und wie wünschte ich, es wäre schon angezündet! ...Denkt ihr,daß ich gekommen sei, Frieden auf der Erde zu geben? Nein, sage ich euch, sondern vielmehr Entzweiung... "
Nun der Brief unserer Tochter. Sie schrieb ihn Ende des Jahres 2002.
Ein Journalist interviewt einen Reisenden:
Journalist: "Sie haben die Stadt Dogmática besucht. Was haben Sie da erlebt, was ist Ihnen aufgefallen?"
Reisender: "Der Straßenverkehr ist sehr kompliziert in Dogmática. Es ist mir ein Rätsel, wie die Leute dort es schaffen, daß sie nicht ständig zusammenstoßen. Vielleicht hängt das zusammen mit den seltsamen Verkehrszeichen, die es in Dogmática gibt.
Da wären zum Beispiel die zwei Verkehrszeichen, auf denen ein Kopf mit Gehirn dargestellt ist. Das eine hat einen roten Rand und einen roten Diagonal-Streifen. Es bedeutet: "Nicht mitdenken! Kollisionsgefahr!"
Im Einzelfall heißt das dann in der Praxis beispielsweise: "Nicht hinschauen! Widersprüche wären zu offensichtich. Kollisionsgefahr!"
Ja, in Dogmática sind viele Kurven so haarsträubend gefährlich, daß man als Außenstehender denkt: "Jeden Moment kracht es." Aber die Einwohner kommen erstaunlich gut mit solchen Sitiationen zurecht.
Bloß wenn jemand eine Nase hat, die Widersprüchliches wittert, dann kommt er nicht weit in Dogmática.
Einer hat mir erzählt, er sei weggezogen, denn es stinkt dort so.
Das andere Verkehrszeichen zeigt auch einen Kopf auf blauem Grund und nicht durchgestrichen. Es ist ein Gebotsschild und bedeutet: "Denken erlaubt und geboten."
Man findet es zum Beispiel in der Prunkstraße von Dogmática. Da ist es nämlich erlaubt, nach Herzenslust zu analysieren, klassifizieren und argumentieren. Da kann sich der Intellekt austoben. Sie wundern sich über das Wort Intellekt? Ich verwende es sonst fast nie. Aber, ich habe es dort in der Stadt gehört. Und daß sich der Intellekt austoben darf, das trifft, glaube ich, ziemlich genau das, was das Gebotsschild mit dem Gehirn eigentlich meint.
Das Gebotsschild mit dem Gehirn ist so eine Art Ausgleich für das Gleichgewicht. Sonst rebelliert der Verstand, wenn er nie etwas sagen darf.
Auch in der Sraße der Unfehlbarkeit ist mir ein Verkehrszeichen aufgefallen. Es war dreieckig, mit grünem Rand. Und in der Mitte war ein Schalentier abgebildet.
Vorsicht!
Wertvolles Fossil
Nicht kaputtmachen
konnte man auf einem kleinen zusätzlichen Schild lesen. Ich schaute umher, um das wertvolle Fossil zu sehen. Aber da war kein Fossil. Da waren nur Schnecken, die zahlreich auf der Straße herumkrochen. Es war sehr eklig.
Im übrigen sind die Straßen von Dogmática der reinste Irrgarten. Ich habe erlebt, wie ein Kind sich dort verirrt hat."
Journalist: "Haben Sie auch die Biblioteca Dogmática besucht? Alle reden doch von dieser Bibliothek."
Reisender: "Ja, sowohl die Prunkstraße, aber auch die Straße der Unfehlbarkeit führen dort hin.
Ich selbst war auch drinnen. Als ich sah, was für Bücher da nebeneinander im Regal standen, dachte ich mir: Bin ich froh, daß ich nicht hier aufgewachsen bin, zwischen diesen Büchern! Wie gut, daß ich erst jetzt erfahre, welche Wahrheiten und Unwahrheiten hier nebeneinander als Dogma eingestuft werden
Die Stadt Dogmática hat ein Siegel, das sie auf all ihre Bücher klebt, um ihnen mehr Gewicht zu verleihen. Und ich kann Ihnen sagen, es ist oft echt nützlich, nicht zu früh (oder überhaupt nicht) zu wissen, ob irgendetwas zu einem Dogma ernannt worden ist. Sie dürfen nicht vergessen: Es gibt Aussagen, die nichts dafür können, daß sie in der Biblioteca Dogmática einquartiert worden sind. Deswegen wäre es nicht fair, Aussagen automatisch zu verdächtigen, nur weil sie das Siegel "Dogma" tragen.
Die wahren Aussagen werden dort oft mit falschen Aussagen zu einem Bündel zusammengebunden und gemeinsam in ein Buch gestopft. Wie es historisch gesehen dazu kam, kann ich schwer beurteilen.
Man muß wirklich auf die Lebendigen Schutzschilder Rücksicht nehmen. Pauschale Angriffe und allgemeiner Spott über die Aussagen in der Biblioteca Dogmática können großen Schaden anrichten.
Oft findet man Wahres und Falsches in ein und demselben Buch so eng nebeneinander, daß man das Buch zerreißen müßte, um Wahrheit und Müll voneinander zu trennen.
Einmal habe ich ein Buch entdeckt, das insgesamt, also in der Summe, so als ganzes Buch, einen vernünftigen Inhalt hatte. Da dachte ich mir: "Ich kann es nicht länger mitansehen, daß Bücher wie dieses mißbraucht werden, um das Bestehen der Biblioteca Dogmática zu rechtfertigen. Eines wenigstens nehme ich mit."
Und so entwendete ich das Buch in einem geeigneten Moment. Hier ist es. Sehen Sie?
Ich habe das Siegel der Biblioteca Dogmática bereits abgemacht. Jetzt ist es wieder ein normales Buch, dessen Aussagekraft von seinem Inhalt kommt, so wie es sein soll, und nicht von einem kirchlichen Siegel."
Anmerkung zu "so wie es sein soll": Vgl. Jesu Aussage: "...Ich aber sage euch : Ihr sollt überhaupt nichts schwören ...Euer Wort sei "ja" für "ja", und "nein" für "nein". Was darüber hinausgeht, kommt vom Bösen." (Matthäus 5,33-37)
Journalist: "Was kann man tun für die wahren Aussagen, die noch in der Biblioteca festgehalten werden? Soll man in die Biblioteca gehen, um sie dort zu besuchen, oder gar um sie da herauszuholen?"
Reisender: "Ich möchte eher sagen: Nein. Gleichzeitig muß ich aber betonen, daß ich nicht in der Lage bin, ihre Fragen eindeutig zu beantworten. Im Einzelfall kann es durchaus so sein, daß der Weg eines Menschen durch die Biblioteca hindurchführt, und daß derjenige zum Beispiel bei einem bestimmten Thema mithilft, einen Irrtum aufzudecken.
Vorhin habe ich gesagt, daß man sich davor hüten sollte, alle Dogmen pauschal anzugreifen. Nur das Siegel von Dogmática, das können Sie ganz generell angreifen. Das ist nichts wert.
Vielleicht denken Sie jetzt, um gezielt anzugreifen, müßte man eigentlich die Biblioteca erst einmal sehr gut kennen. Deswegen möchte ich ihnen einen Tip verraten, den ich nicht selbst erfunden habe. Besonders gut funktionieren Waffen, die nicht als reine Gegenreaktion auf falsche Aussagen entstanden sind. Darum ist es nicht unbedingt notwendig, die Biblioteca Dogmática zu kennen. Bei solchen Waffen hatte Dogmática keinen (oder nur geringen) Einfluß auf Aufbau und Gewichtung. Sie sind dadurch besonders schlagkräftig und unberechenbar für Dogmática. Und, was mich besonders freut, sie arbeiten sehr zielgenau und treffen die Lebendigen Schutzschilde nicht, wenn sie richtig gebaut sind."
Journalist: "Sie sind ja sehr kämpferisch eingestellt. Trotzdem möchte ich Sie eines fragen: Andere beschreiben die Biblioteca Dogmática als ehrfurchts-einflößend (English: awe-inspiring) oder auch als beeindruckend wissenschaftlich. Haben Sie etwas davon gespürt, als Sie drin waren?"
Reisender: "Ich habe schon gemerkt, daß von der Biblioteca so eine Art Aura der Überlegenheit ausging. Ich saß da und dachte: "Was die schreiben können! So was kann ich nicht schreiben. Ich kann es ja nicht einmal verstehen." Da fühlt man sich ganz klein vor den gigantischen Datenmassen der Biblioteca.
Dann habe ich angefangen, ein paar Kapitel in meine eigene Sprache zu übersetzen. So ohne dicke Fremdwörter und elegante Scheinlogik wirkten die Kapitel schon wackliger und weniger wissenschaftlich als vorher.
Als ich an jenem Tag die Biblioteca spät am Nachmittag wieder verließ, begegnete ich einer Frau. Sie sagte zu mir: "Was Sie da machen, habe ich auch schon einmal gemacht. Ich glaube auch, daß Sie im Recht sind, und daß da wirklich Vieles nicht stimmt in der Biblioteca. Aber - machen Sie lieber nicht weiter. Gegen die Dogmatiker haben Sie keine Chance. Die sind aalglatt, die haben immer ein Argument und sei es nur eine Fußnote."
Als ich dann abends allein in meinem Hotelzimmer saß, ging mir das durch den Kopf, was die Frau gesagt hatte.
"Ich habe schon eine Chance gegen die Dogmatiker", überlegte ich mir. "So wie ich die Unterlagen in der Biblioteca einschätze, muß es möglich sein, eine Reihe von Irrtümern aufzudecken. Die machen auf wissenschaftlich. Aber sogar auf dieser Ebene, sagen wir mal zum Beispiel auf der Ebene der Literaturwissenschaft, ist nicht alles erlaubt. Wenn man die Argumente sorgfältig durchgeht, dann wird man wohl Stellen finden, wo Zitate aus der Bibel in einen falschen Kontext eingebaut werden; oder wo Scheinlogik verwendet wird, um etwas in die Bibel hinein zu interpretieren."
Ich nahm mir fest vor, am nächsten Tag Beweise - schwarz auf weiß - gegen die Dogmatiker zu sammeln.
Aber, als ich dann vor der Biblioteca Dogmática stand, kam mir die Idee, daß es besser sein könnte, nicht hineinzugehen.
"Kommen Sie doch herein", sagte ein freundlicher Bibliothekar zu mir. "Wovor haben Sie denn Angst? Ich sehe überhaupt kein Problem. Man kann doch über alles reden."
Ich hatte jedoch das Gefühl, wenn ich mich jetzt mit den Dogmatikern einlasse, dann könnte das bereits deren Sieg sein."
Journalist: "Wenn der eine mit dem anderen Kontakt aufnimmt, das ist doch eher etwas Positives. Wieso sehen Sie darin einen Sieg des anderen über Sie selbst?"
Reisender: "Diese Frage möchte ich mit einer Geschichte beantworten. Es ist eine spanische Kurzgeschichte. Ich fasse den Inhalt grob zusammen.
Ein Spanier bekommt von seinem Freund einen Brief: "Laß Dich nicht mit Señor X auf eine Wette ein," warnt ihn sein Freund. "Señor X ist seinen Wettpartnern immer überlegen. Und dann macht er sich auch noch über sie lustig."
Bald darauf kommt Señor X tatsächlich auf ihn zu und bietet ihm seine Wette an. "Ich wette mit Ihnen 50 Euro, daß Sie an ihren Füßen viele Hühneraugen haben."
Der Spanier überlegt: "Mein Freund hat mich zwar vor einer Wette mit Señor X gewarnt. Aber diese Wette ist etwas anderes. Die kann ich schon annehmen. Denn ich bin mir sicher, daß ich keine Hühneraugen habe."
"Die Wette habe ich schon gewonnen", antwortet er also. "Denn ich habe keine Hühneraugen."
"Das müssen Sie mir erst beweisen." entgegnet ihm Señor X. "Ich verlange, daß Sie sich von drei Fußpflegern untersuchen lassen. Wenn die bestätigen, daß Sie keine Hühneraugen haben, dann glaube ich ihnen."
Der Spanier wundert sich darüber, was Señor X ihm da auferlegt. Aber schließlich läßt er drei Fußpfleger zu sich kommen, zeigt ihnen seine Füße und läßt sich von ihnen in einem Gutachten bescheinigen, daß er keine Hühneraugen habe.
Nach einiger Zeit bekommt der Spanier von seinem Freund wieder einen Brief.
"Habe ich Dich nicht davor gewarnt, Dich auf eine Wette mit Señor X einzulassen? Warum hast Du nicht auf mich gehört? Du hast zwar von Señor X 50 Euro gewonnen. Aber er hatte mit Señor Y um 500 Euro gewettet, Dich dazu zu bringen, Dich von drei Fußpflegern untersuchen zu lassen."
Journalist: "Ich ahne, was Sie meinen. Aber ganz bringe ich es noch nicht zusammen. Wenn Sie bitte wieder auf die Biblioteca Dogmática zurückkommen würden. Um was geht es da konkret? Was wollen Sie da meiden oder vermeiden?"
Reisender: "Wenn jemand versucht, die Informationen auf ihren Wahrkeitsgehalt zu überprüfen, dann muß er oder sie sich darauf gefaßt machen, daß das keine schöne Arbeit ist. Es ist eine schwierige Arbeit, von der kein Mensch einfach so sagen kann, daß er sich ihr gewachsen fühle. Außerdem ist es auch eine schmutzige Arbeit, weil man immer wieder mit Müll und Dreck in Berührung kommt. Dabei ist man einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt. Das ist das größte Problem. Und aus diesem Grund will ich da nicht mehr hinein in die Biblioteca. Bloß, wenn ich hineingehen muß, aber ganz bestimmt nicht zum Vergnügen, und auch nicht eigenmächtig."
Journalist: "Sie reden von einem Infektionsrisiko. Wie meinen Sie das? Übertreiben Sie da nicht ein bißchen? Haben Sie sich denn schon einmal infiziert?"
Reisender: "Ja leider. Haben Sie schon einmal davon gehört, daß der Begriff "Gnade" in der Theologie eine zentrale Rolle spielt? Nein? Seien Sie froh. Seitdem ich etwas zu dem Thema "Gnadenlehre" gelesen habe, habe ich Schwierigkeiten mit dem Wort "Gnade": Dabei stammt das Wort nicht von den Dogmatikern. Es gehört ihnen auch nicht, obwohl sie mit viel Eifer versucht haben, es zu prägen.
Ich habe mich gemüht, ihnen nicht auf den Leim zu gehen. Und trotzdem haben sie mir das Wort fürs Erste entfremdet.
Aber machen Sie sich keine zu großen Sorgen. Die Infektion ging zum Glück nicht tief. Ich bin nur auf das Wort etwas allergisch, nicht aber auf die Idee, für die das Wort in der Bibel steht. Oft helfe ich mir mit anderen ähnlichen Worten, um die Lücken zu überbrücken: Mitleid, Begnadigung, Amnestie... je nach Kontext. Ich hoffe auch, daß die Allergie irgendwann wieder ganz weggeht, irgendwann ...
Ich habe selbst erlebt, daß man sich infizieren kann, ohne es zu wollen, und wahrscheinlich sogar ohne es zu merken.
Was ist, wenn die Infektion tiefer geht, als es bei mir der Fall war? Stellen Sie sich vor, jemand sieht ein Zerrbild. Er will sich dagegen wehren. Deswegen geht er wieder weg, vielleicht ein wenig zu spät. Er wünscht sich, er hätte das Bild nie gesehen. Er merkt, daß er etwas von der Entfremdung oder von der Kälte, die das Zerrbild ausstrahlt, mitgenommen hat.
Ohne Gottes Hilfe bekommt man so ein Zerrbild nicht wieder weg.
Ein Zerrbild kann sehr elegant aussehen und sich sehr heimtückisch einschleichen. Die Argumente der Dogmatiker können so schwammig sein, daß man nicht mehr weiß, wo bei der ganzen Sache vorne und hinten ist. Was man liest, verunsichert einen. Und man kann die Argumente nicht entkräften, weil man sie nicht greifen kann, weil sie so glitschig sind.
"Ich will seine ganzen Gedankengänge überhaupt nicht hören", sagte kürzlich eine junge Frau. Sie saß zusammen mit einer anderen Frau in einem Restaurant, und erzählte aufgeregt von einem Konflikt mit einem Freund oder Bekannten."
Journalist: "Zum Abschluß hätte ich noch eine Frage. Sie berichten ja viel Negatives von Dogmática. Aber finden Sie die Auseinandersetzung mit Dogmática nicht trotz allem faszinierend?"
Reisender: "Wieder möchte ich Ihnen mit einer Geschichte antworten. Diesmal handelt es sich um ein echtes Ereignis, das ich im Radio gehört habe:
Eine Biologin besuchte die Umgebung des Tschernobyl-Reaktors. Sie entdeckte dabei, daß sich viele Pflanzen und Tiere dort verändert haben. Sie fand unter anderem einen Baum, irgendeine Art, die es auch bei uns gibt, einen Ahorn oder eine Eiche. Der hatte rechteckige Blätter, verstehen Sie? Rechtecke!
Das muß doch sehr interessant sein für eine Biologin, könnte man denken. Aber bei ihr war es anders. Es war schlimm für sie. Sie wolle so etwas nie wieder sehen, sagte sie. Sie wolle nicht wieder nach Tschernobyl zurück."
Soweit die Aussagen unserer Tochter zum merkwürdigen (faulen) Kirchen-"FRIEDEN".
Ich muß nocheinmal auf den Warnruf "Mind the gap" zurückkommen. Die wichtigste Bedeutung wurde für mich: Achte darauf, daß in der Bündnistreue zu Gott keine Lücke entsteht, achte darauf, daß das Bündnis lebt. Fliehe jeden (und alles), der Gottes Stelle auf die eine oder andere Art vor dir einnehmen will. Ich weiß zum Beispiel, wie überaus sympathisch geistliche Lehrer auf Menschen zugehen können. Ich weiß auch, wie sehr da oft die Bescheidenheit fasziniert. Ich brauchte in solchen Fällen den sehr nachhaltigen Warnruf aus London. Diese Leute können für ihre Meistervorhaben nicht wenig "sanfte Gewalttätigkeit" ausstrahlen. Eine Gewalt, der man sich gar nicht leicht entziehen kann. Ich habe nicht fernöstliche Meditations-Disziplin-Übungen hinter mir. Aber, ich habe mir nach Einsicht in Erwartungen Gottes an die Bündnistreue diese eine Disziplin abverlangt (und ich bin noch am Lernen), nämlich die Treue zu Jesu Forderung: Nur einer ist euer Vater und nur einer ist euer Lehrer.
Und es kann mich niemand damit bluffen, daß Vieles aus der buddhistischen Lehre dem Christentum ähnelt. Ich denke, es gibt Vieles, was Menschen vorbereitend für das Eigentliche lernen. Nicht wenig davon lernte ich, um zur rechten Zeit klar und deutlich zu erfassen: Umgekehrt muß es sein.
Leider hat der tibetanische Meditationsmeister auch insofern recht, als das Christentum reichlich den natürlich religiösen Strebungen nacheiferte, also das Neue, das ganz andere der Nachricht Jesu, verriet. Ich hörte gestern die einleitenden Worte des Talkshow-Pfarrers Fliege. Ich dachte, ich hör nicht recht: Er sagte zum Thema "Gesundheit durch Bäume" sinngemäß Folgendes: Wir Christen haben das Kreuz, aber wußten Sie, daß viel früher, also näher an unseren Wurzeln (!!!), die Menschen sich religiös Kraft (zu leben, sich aufzubauen) von Bäumen (die sie verehrten) holten. Pfarrer Fliege hat schon recht, seine Wurzeln liegen in der alten diffus religiösen Natur. Das belegen seine Worte und Redensarten immer wieder aufs Neue. Ich habe die Baum-Sendung dann nicht verfolgt. Ich halte es aber für gut möglich, daß es durchaus sachliche "Baumheilkundige" gibt, die diese religiös überholte und verderbende Schiene nicht benützen.
Ich frage mich: Anerkennt so ein smarter Unterhaltungs-Show-Pfarrer Grunderwartungen des biblischen Gottes? Weiß er etwas von Gottes Mahnung an sein Volk, religiöse Baumkulte (also Heidenkulte) abzulegen? Weiß er etwas davon, wie verloren und verlassen die Alten ihrer archaisch unerlösten Natur ausgeliefert sind, wenn sie die Erlösung durch Christus nicht annehmen würden. Müssen Hirten, die sich den Namen Christus für ihr mieses Geschäft nützlich machen, und die Alten (und ihre modernen geistigen Erben) sich auch noch in einem törichten Stolz der Überlegenheit des "Früheren" bestärken? Fragt so ein religiöser Vielschwätzer danach, was seine Worte in Menschen anrichten? Glaubt so ein Show-Mensch überhapt daran, daß es halt doch eine Wahrheit gibt? Wenn der Papst laut verkündet, daß der Abraham der Schrift und der des Mohammed derselbe ist, man sich also auf den gleichen Gott berufe, dann frage ich mich, ob er je etwas von Jesu Aussage über Doppelgänger erfaßte. Jesus sagt voraus, daß viele kommen werden und behaupten werden, sie seien Christus. Kann man sich nicht vorstellen, daß es auch Stimmen und Visionen geben kann (es geben konnte) die behaupten, der Gott Abrahams zu sein? Immerhin ist doch auffällig, daß der biblische Abraham eine Verheißung erhielt. Und im Laufe der aufgeschriebenen Heilsgeschichte wurde durch Propheten deutlich, in welche Richtung diese Verheißung geht. Ich sehe in diesen Aussagen Gottes zu dem Neuen, das da kommt, nicht eine einzige Aussage, die sich mit den ausgefeilten Verhaltensrezepturen dessen, was Mohammed in den Aufzeichnungen seiner Visionen niederschrieb, deckt. Das Ziel ist das Gegenteil: Gott selbst schreibt in die Herzen der Einzelnen sein Weisung. Jesu Art, auf die Weisungen des Vaters zu hören, ist beispielhaft. Dazu konnten durchaus die Zeiten gehören, in denen er (um Gottes Willen!) seinen Eltern untertan war. Er nahm aber den Moment seines zunehmenden Mündigwerdens wahr, deutlich zu demonstrieren, wer sein eigentlicher Vater und Weisung-geber ist (Jesus im Alter von 12 Jahren im Tempel).
Ich ahne, weshalb es einem Papst leicht fällt, den Gott der Mohanmmedvisionen anzuerkennen. So unähnlich ist die Zielrichtung des Papstes der des Mohammed nicht.
Nocheinmal zurück zum Showpfarrer Fliege: Könnte bei diesem Produkt der überlegenen religiösen Ziehväter und -lehrer nicht zutreffen, was Jesus einmal so ausdrückte: Ihr macht weite Reisen, um einen zu gewinnen, und dann macht ihr ihn mehr zum Sohn der Hölle als ihr es schon seid. Man stelle sich vor, welche Spirale der Verdorbenheit sich in den vergangenen 2000Jahren entwickelte.
Kann sich ein Mensch, der redlich und unvoreingenommen die Evangelien liest, vorstellen, daß Jesus mit den Berufungsworten hin zum Papstthron (wie dieses Wort in diesen Satz geriet, erkläre ich unten im Satz vom Zusammenbrechen der Meisterstühle) zu Petrus hin, den gewordenen Papstzirkus (diese Väter- und Lehrervergötterung) gemeint haben kann? Dieser Zirkus (auch der damit zusammenhängende Lutherzirkus) ist mitbeteiligt, daß es so viele gut verdienende freche, religiöse Schwätzer gibt.
Als Pfarrer Fliege gestern seine Rückwärtsgläubigkeit weiterverbreitete (inzwischen machen die Zugewinnenden weite Reisen zu ihrem Verderber), dachte ich: Merkwürdig, wie politische Weltmannskinder im Grunde einander so ähnlich sind: Eine C-Politikerin trug in diesen Tagen ihr Lebensmotto nach einer Talkveranstaltung in ein Gästebuch ein. Sie sagte, sie habe das Motto von ihrem Vater (umschwärmter C-Politiker). Es lautet: Gläubig rückwärts, mutig vorwärts.
Als ich heute meinen Mann fragte, an was er denken müsse, wenn da in der Zeitung steht, bei welcher Aussage des tibetanischen Lama der Stuhl eines Besuchers zusammenbrach, sagte er: Ein Zusammenbrechen der Meisterstühle (Stuhl = Cathedra) bis hin zum Papstthron. Ich hatte die letzten drei Worte getippt, als ich merkte, sie waren zuerst nicht an ihrem Ort, sondern oben im Text an einer merkwürdig passenden Stelle, nämlich im Satz von den Berufungsworten Jesu zu Petrus hin. Ich habe Grund genug zur Aussage, daß die Berufung des Petrus nur dem Petrus galt und sonst niemandem. Aber niemals sollte Petrus aufgrund seiner Berufung den Versuch machen, Jesus zu bevormunden. Es ist kein Zufall, daß gleich nach der Evangeliumstelle von der Berufung des Petrus die schärfste Zurechtweisung des Petrus durch Jesus berichtet wurde. Petrus wollte nämlich Jesus zeigen wie es weitergehen sollte. Wenn dieser "Zufall" kein Zeichen ist, dann kann man auch das Verhalten des Petrus so kommentieren: Der hat es doch gut mit Jesus gemeint (so wie es die Meister und Väter auch nur gut meinen). Aber Jesus sah darin alles andere als guten Willen. Jesus sah darin einen Angriff auf das Heilige zwischen ihm und dem Vater, deswegen sagte Jesus: Weg von mir Satan.
Ich war immer wieder überrascht, wie wenig verteidigend Menschen sich verhalten, wenn geistliche Führer das heilige Bündnis der Einzelnen mit Gott überrollen. Erst recht bin ich entsetzt, wenn ich sehen muß, wie skrupellos diese geistlichen Führer Gottes Erwartungen an Einzelne und an Gruppen an sich reißen. Gilt etwa das Gebot, daß man nicht begehren darf, was dem anderen gehört, Gott gegenüber nicht?